Neurol Rehabil 2015; 21 (6): 317-326 SCHWERPUNKTTHEMA
Die Suche der Neuropsychologie nach sich selbst
S. Frisch
Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Frankfurt / Goethe-Universität
Zusammenfassung Der Fall Schneider spielt eine zentrale Rolle im Werk von Kurt Goldstein und Adhémar Gelb und gilt als Meilenstein in der Entwicklung der Neuropsychologie. Die Autoren demonstrierten anhand dieses wie später auch anderer Fälle wichtige methodische Neuentwicklungen zum Verständnis der Auswirkungen von Hirnverletzungen, wie etwa die Bedeutung differenzierter psychologischer Leistungsanalysen oder die Erfassung des phänomenalen Erlebens von Hirnverletzten. Nichtsdestotrotz wurde Goldsteins und Gelbs Interpretation des Falles später vernichtender Kritik unterzogen. Interessanterweise zeigen sich gerade in den Auseinande-rsetzungen um den Fall Schneider bereits die wesentlichen, so vielschichtigen und oft widersprüchlichen Dimensionen, die die Neuropsychologie bis heute prägen. Sie stellen nach wie vor wesentliche Herausforderungen nicht nur für die Neuropsychologie selbst dar, sondern auch für die Neurowissenschaften insgesamt. Hierzu zählen etwa die Grenzen rein quantitativer Störungsdefinitionen, die Rolle intra- wie interorganismischer Faktoren, die Erste-Person-Perspektive sowie die verschachtelte Polarität zwischen Testsituation und Alltag. Unabhängig davon, ob sich jemals eine eindeutige inhaltliche Interpretation des Falles Schneider finden lässt, kann er deshalb als ein klassischer Fall der Neuropsychologie gelten. Schlüsselwörter: Neuropsychologie, Goldstein, Fall Schneider
Neuropsychology searching for itself
S. Frisch
Abstract The Schneider case plays a central role in the works of Kurt Goldstein und Adhémar Gelb and counts as a milestone for the development of neuropsychology. With this and similar cases, the authors demonstrated important methodological reorientations in the investigation of brain damage sequelae, such as the significance of a detailed psychological analysis of the performances of brain damaged individuals as well as an understanding of changes in their phenomenal experiences. However, Goldstein’s and Gelb’s interpretation of the Schneider case was harshly criticized. Interestingly enough, the entire dispute about the Schneider case already reveals the essential, multilayer and often contradictory aspects which are critical for neuropsychology up to the present day. The following issues depict profound challenges not only for neuropsychology, but also for the entire neurosciences: The limits of purely quantitative definitions of disorders, the role of intra- as well as interorganismic factors, the first-person perspective as well as the dichotomy of test situation and everyday life. Regardless of whether an indisputable interpretation of the Schneider case will ever be found, it does count as a classic case of neuropsychology. Keywords: neuropsychology, Goldstein, Schneider case
© Hippocampus Verlag 2015
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