NeuroGer 2012; 9 (2): 79-85 DISKUSSION
Über Suizide und suizidale Syndrome in der Heiligen Schrift: Christen im Spannungsfeld der biblischen Lehre
H. J. Koch Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, HELIOS Klinikum Aue
Zusammenfassung Die Bücher der Bibel (Jerusalemer Übersetzung) wurden unter der Fragestellung Suizid, Suizidversuch oder suizidales Syndrom durchgearbeitet. In der Bibel werden zehn vollendete Suizide beschrieben. Darüber hinaus entwickelte sich in elf Fällen ein suizidales Syndrom. Prinzipiell geht die Schrift vom Leben als göttlicher Gabe aus, dennoch hält sich die Bibel mit einer ethischen Bewertung des Suizids auffallend zurück. Vielmehr wird den Betroffenen mit Respekt begegnet und ihnen wird Hilfe angeboten. Die über Jahrhunderte von Kirchenvätern und scholastischer Theologie geprägte negative Einstellung zum Suizid wird durch die biblischen Beispiele nicht gestützt. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Möglichkeiten der modernen Intensivmedizin gewinnt das Thema dieser Arbeit an Aktualität. Auch wenn die Heiligkeit des Lebens im theologisch- ethischen Glaubensverständnis noch immer einen zentralen dogmatischen Stellenwert einnimmt, findet zunehmend auch der Gedanke an einen Suizid in tiefster Not bei Gläubigen Akzeptanz. Für Mediziner sollte der ärztlich assistierte Suizid aufgrund der medizinethischen Tradition des Nicht-Schadens-Prinzips und des Hippokratischen Eids nicht in Erwägung gezogen werden. Anzustreben ist dagegen ein individuelles palliatives Konzept einschließlich einer psychiatrischen Behandlung, das sich an der Lebensqualität des leidenden Patienten ausrichtet. Schlüsselwörter: Bibel, Suizid, suizidales Syndrom, Psychiatrie, Theologie, Palliativmedizin, aktive Sterbehilfe
Suicides and suicidal syndromes in the Scripture: Christians between the poles of biblical tradition H. J. Koch
Abstract The Bible (Jerusalem version) was worked through with regard to suicides, suicide attempts or suicidal syndromes. Ten suicides and 11 cases of suicide ideation are reported in the Scripture. The tradition considers life as a divine gift, however, the Bible remarkably abstains from ethically condemning suicide. The Scripture treats everybody with respect and offers help. The anti-suicide teaching of church fathers and scholastic theologians is not substantiated by the Bible. Although life is still unimpeachable – and modern medicine offers a tremendous arsenal of life support methods –, suicide is more and more accepted by believers in case of deepest distress. Physicians should reject assisted suicide due to the Hippocratic oath and the principle of non-maleficence, but should strive for individual palliative concepts. This concept should include psychiatric aspects and concentrate on the quality of life. Key words: Bible, suicide, suicidal syndrome, psychiatry, theology, palliative care
© Hippocampus Verlag 2012
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