Neurol Rehabil 2021; 27 (1): 37-48
Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit bei Multipler Sklerose – eine prospektive Studie zur Entwicklung und Evaluation eines symptomspezifischen Assessment-Instrumentariums
P. Flachenecker, C. Sterz, K. Gusowski, H. Meißner
Neurologisches Rehabilitationszentrum Quellenhof, Bad Wildbad
Zusammenfassung Die Multiple Sklerose (MS) führt häufig zu vorzeitiger Erwerbsunfähigkeit, allerdings sind die hierfür verantwortlichen Faktoren zumindest für Deutschland nur unzureichend bekannt, und oftmals werden relevante Symptome bei der Leistungsbeurteilung und der Rehabilitationsplanung nicht ausreichend beachtet. Daher identifizierten wir in einem zweiteiligen Forschungsprojekt zunächst die relevanten Einflussgrößen, die die berufliche Leistungsfähigkeit bei MS-Betroffenen determinieren, und entwickelten darauf basierend MS-spezifische Assessment-Instrumente. Im ersten Teil wurde nach einer Literaturrecherche ein umfangreicher Fragebogen entwickelt, der u. a. standardisierte und validierte Instrumente zu Schwierigkeiten im Beruf (»Würzburger Screening für berufliche Problemlagen«, »MS Work Difficulties Questionnaire (MSWDQ)« und Fragen zur Symptombelastung beinhaltete. Damit wurden nach einem Vortest bei 20 MS-Patienten insgesamt 279 (189 erwerbstätige, 90 berentete) MS-Patienten befragt, die zu einer stationären Rehabilitationsmaßnahme im Neurologischen Rehabilitationszentrum Quellenhof aufgenommen worden waren. In beiden Gruppen beurteilten 81 % bzw. 74 % der Rehabilitanden ihre berufliche Tätigkeit als sehr wichtig. Als Prädiktoren für eine Erwerbstätigkeit erwiesen sich Alter, Krankheitsdauer, Behinderungsgrad (EDSS) und Bildungsniveau. Mithilfe einer Regressionsanalyse waren berufliche Schwierigkeiten (Würzburger Screening und MSWDQ) mit den Symptomen kognitive Störungen, depressive Verstimmung, Schmerzen, Mobilitätseinschränkungen bzw. Gangstörungen, Gleichgewichtsstörungen, Fatigue und Sehstörungen assoziiert. Im zweiten Teil wurden zu jedem dieser Symptome anhand einer erneuten Literaturrecherche standardisierte und validierte, patientenbasierte Assessment-Instrumente ausgewählt. Diese wurden zusammen mit dem Fragebogen des ersten Teils bei einer zweiten Stichprobe von weiteren 102 berufstätigen Rehabilitanden mit MS eingesetzt, von denen 76 (75 %) an der postalischen Nachbefragung 6 Monate nach Entlassung teilnahmen. Mithilfe einer erneuten Regressionsanalyse, den Summenwerten der Symptomskalen und dem Vergleich zwischen mittlerweile berenteten (n = 9) und weiterhin berufstätigen (n = 62) Patienten konnten die im vorherigen Teil erhobenen Befunde bestätigt werden. Damit steht nun ein Set von Assessment-Instrumenten zur Verfügung, mit dem bei MS-Betroffenen berufliche Problemlagen identifiziert und das berufliche Leistungsvermögen detailliert und standardisiert erfasst und zuverlässig beurteilt werden kann. Schlüsselwörter: Multiple Sklerose, Erwerbsfähigkeit, Rehabilitation, Assessment
Development and validation of assessment instruments for work ability in multiple sclerosis – a prospective study
P. Flachenecker, C. Sterz, K. Gusowski, H. Meißner
Abstract Multiple sclerosis (MS) is a common cause of unemployment, but the influencing factors are not well understood, at least in Germany, and disabling symptoms are often neglected. We therefore attempted (1) to identify relevant factors that predict employment, and (2) to develop assessment instruments specifically designed for work difficulties and symptoms that impact work ability. In the first part of the study, 279 MS patients admitted to inpatient neurological rehabilitation (189 employed, 90 unemployed) were evaluated with a comprehensive questionnaire that included standardized instruments dealing (among others) with work difficulties (“Würzburger Screening für berufliche Problemlagen”,“MS Work Difficulties Questionnaire [MSWDQ]”) and symptom burden. Most patients in both groups (81 % and 74 %) stated that working was very important for them. Age, disease duration, disability (EDSS) and education were predictive for employment. By means of regression analysis, work difficulties were associated with the following symptoms: cognitive dysfunction, depression, pain, mobility restrictions and gait disorders, balance problems, fatigue and visual disturbances. In the second part of the study, patient-oriented outcomes were identified for each of these symptoms and applied to another sample of 102 MS patients admitted to rehabilitation, of whom 76 (75 %) were evaluated at follow-up after 6 months. Regression analysis, sum scores of symptom scales and comparison between retired (n = 9) and still employed (n = 62) patients confirmed our previous results. With the findings of this study, a set of assessment instruments is available that may help to identify work difficulties and to properly evaluate the ability to work in patients with MS. Keywords: multiple sclerosis, employment, rehabilitation, assessment
Neurol Rehabil 2021; 27(1): 37–48, DOI 10.14624/NR2101005 © Hippocampus Verlag 2021
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