Rezensionen
1 von 6 Aus: www.amazon.de Rezensentin: Marietta Haller, lic.phil., Fachpsychologin für Neuropsychologie und Psychotherapie FSP, Rehabilitationszentrum für Kinder und Jugendliche, Mühlebergstrasse 104, CH-8910 Affoltern am Albis Für all jene, die die Neuropsychologie nicht nur als Test- und Messpsychologie verstehen, ist dieses Buch eine lange fällige fachliche Ergänzung und ein wichtiger Begleiter in ihrer Arbeit.
2 von 6 Aus: Ergotherapie und Rehabilitation 2012; 51 (2): 35-36 Rezensentin: Susanne Heybach, Ergotherapeutin Bei Menschen, die eine Schädigung des Gehirns erlitten haben, kommt es nicht selten zu einer veränderten Art des Denkens und Erlebens. Die oft daraus resultierenden Missverständnisse können sich negativ auf den Rehabilitationsverlauf auswirken und führen darüber hinaus zu Frustrationen – sowohl aufseiten des Patienten als auch beim Therapeuten. Als Psychologin geriet die Autorin an genau diese Grenze. Nach der Einleitung mit Erläuterungen zu ihren Intentionen für dieses Buch geht sie im zweiten Kapitel „Die Welt der Hirngeschädigten“ auf diese veränderte Art des Denkens und Erlebens ein. Dem folgt „Die Suche nach der neuen Stimmigkeit“, indem sich die Autorin unter systemischer Sichtweise mit der Hirnschädigung befasst und den Nutzen sowie die Konsequenzen dieses Ansatzes mithilfe von zwei Fallbeispielen beschreibt. In Kapitel vier wird als Ergänzung zur herkömmlichen neuropsychologischen Diagnostik die „soziale Diagnose“ an zwei weiteren Fallbeispielen vorgestellt, die eine gute Hilfe für einen sehr strukturierten Umgang mit auffälligen Verhaltensweisen darstellt. Das fünfte Kapitel beinhaltet die Arbeit mit den Angehörigen, eine wichtige Rolle im therapeutischen Prozess, da aufgrund unterschiedlicher Erwartungen oft Missverständnisse entstehen können. In diesem Zusammenhang wird ebenfalls thematisiert, wie eine Institution das Personal in ihrer Umgehensweise mit möglichen Grenzsituationen unterstützen kann. Zahlreiche Hinweise zur Förderung einer erfolgreichen Kommunikation sowie eine ausführliche Beschreibung der Krankheitsverarbeitung aus systemischer Sicht mit den daraus resultierenden Möglichkeiten der Unterstützung in diesem Prozess runden dieses Kapitel ab. Das letzte Kapitel enthält fünf Fallgeschichten mit Beispielen zur Anwendung des systemischen Denkens. Abschließend folgt eine Checkliste mit Denkanstößen zur Reflexion über den Umgang mit Patienten sowie eine Literaturliste, Das sehr ansprechend gestaltete Buch wendet sich an das gesamte Team in den Bereichen Neurologie, Geriatrie und Rehabilitationsmedizin und betont die Notwendigkeit einer guten interdisziplinären Zusammenarbeit. Als Praxisleitfaden orientiert es sich direkt an der Arbeit mit den Patienten. So wird die systemische Sichtweise auch für Nicht-Psychologen nachvollziehbar, indem die Theorie in konkrete Fallbeispiele übersetzt wird. Deshalb bietet die Lektüre eine Bereicherung für alle Ergotherapeuten in den genannten Fachbereichen.
3 von 6 Aus: Wachkoma 1/2012, S. 51 Dieser Praxisleitfaden gibt Hilfen an die Hand, um neue Sichtweisen und Behandlungsformen im Umgang mit hirngeschädigten Menschen zu entwickeln. Viele therapeutische Missverständnisse und Misserfolge entstehen nur deshalb, weil psychologische Konzepte „1:1“ auf Hirngeschädigte übertragen werden. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass genau das Instrument, mit dem gesunde Menschen die Welt erfassen und verarbeiten, in dieser Patientengruppe beschädigt ist. Das systemische Denken soll helfen, Hirngeschädigte kommunikativ zu „erreichen“, ihre veränderte Wirklichkeit zu erfassen und die Behandlung ihren speziellen Möglichkeiten anzupassen.
4 von 5 Aus: neuro aktuell 5/2012, S. 2 Die Annäherung an einen Schädel-Hirn-verletzten Patienten stellt immer wieder eine neue Herausforderung dar. Wir alle zeigen Reaktionen auf ein solches Schicksalsereignis, nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch die Angehörigen und natürlich auch professionelle Helfer aller Fachgruppen. Das vorliegende Buch stellt einen Betrachtungsansatz aus psychologisch-psychotherapeutischer Sicht dar, der sich vor allem auf Reaktionsweisen und Verhaltensänderungen, Erklärungsansätze und Angehörigenarbeit konzentriert. In diese sehr individuelle Betrachtung, die sich auf insgesamt (24!) Literaturstellen stützt, sind immer wieder prägnante Kasuistiken eingeflochten, die mit Bildbeispielen verdeutlicht werden können. Leider beschränkt sich das Buch auf eine psychotherapeutische Traumaarbeit, neuropsychologische Hintergründe oder die Einflechtung neuerer rehabilitations-wissenschaftlicher Thesen fehlen. Für psychotherapeutisch in der Postprimären Rehabilitationsphase Tätige bietet es allerdings viele Ansatzpunkte und Hinweise.
5 von 6 Aus: www.socialnet.de Rezensentin: Dipl.-Päd. Petra Steinborn Einrichtungsleitung in einer großen Ev. Stiftung in Hamburg-Horn und freiberuflich in eigener Praxis ABC Autismus tätig. Schwerpunkte: Herausforderndes Verhalten, Strategien der Deeskalation, Autismus, TEACCH, Erworbene Hirnschädigungen
Thema Christine Gérard wurde in ihrer therapeutischen Arbeit mit dem Personenkreis mit erworbener Hirnschädigung konfrontiert und stellte fest, dass herkömmliche therapeutischen Denk- und Handlungsweisen nicht ausreichen. In ihrem Buch stellt sie Wege vor, die sie auf Grundlage systemischer Denkweise entwickelte. Es ist nicht der Widerstand des Betroffenen, der die Arbeit zur Herausforderung macht, sondern es sind Missverständnisse, die aufgrund unterschiedlicher Sichtweisen entstehen. Diese Erkenntnisse werden in klinischen und therapeutischen Arbeitsfeldern bisher zu wenig berücksichtigt.
Autorin Die Autorin schrieb das Buch aus den Erfahrungen ihrer 25jährigen neuropsychologischen Tätigkeit. Sie erlebte, wie sie an ihre professionellen Grenzen kam und suchte nach passenden Alternativen in der Behandlung mit hirngeschädigten Menschen, die sie in der systemischen Metatheorie fand.
Aufbau Das Thema wird in sieben Kapiteln beleuchtet. Bilder, Diagramme und vor allem Fallbeispiele konkretisieren die Inhalte. Am Ende findet der Leser Fragen-Checklisten zu den Themen Diagnose, Umfeldgestaltung, Behinderungsverarbeitung, Rolle der Angehörigen und Rolle der Professionellen. 1. Warum dieses Buch? 2. Die Welt der Hirngeschädigten 3. Die Suche nach der neuen Stimmigkeit 4. Diagnostik 5. Arbeit mit Angehörigen 6. Veränderungen des Verhaltens und Erlebens nach einer Hirnschädigung- Fallgeschichten 7. Checkliste
Inhalt In der Arbeit mit Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen stellt man ein ‚eigenartiges Ungleichgewichtt fest (Kap. 1):
• Das Finden neuer Krankheitsbilder nach einer Hirnschädigung nimmt zu, aber es fehlt an therapeutischen Ansätzen, die für Betroffene passend sind • Vorhandene Diagnoseinstrumente (aus denen Prognosen abgeleitet werden) passen nicht, weil sie von Logiken einer Normalverteilung ausgehen. Bedingungen Betroffener werden nicht ausreichend berücksichtigt, weil sich die Erkenntnis, dass Betroffene nach der Schädigung anders denken und die Welt anders wahrnehmen als gesunde Menschen, noch keinen Eingang gefunden haben • Professionelle handeln und schlussfolgern nicht objektiv, sondern immer aus einer subjektiv gefärbten Außensicht. Demgegenüber steht die Innensicht des Betroffenen. Wird diese Dynamik nicht wahrgenommen können Missverständnisse entstehen, die einen nicht unerheblichen Einfluss auf den Rehabilitationsverlauf haben können • Herkömmliche Methoden in der Rehabilitation sind für Betroffene mit Hirnschädigungen nicht geeignet, sodass Alternativen entwickelt werden müssen. Es reicht nicht aus, intensiv zu trainieren, um handicaps zu beseitigen, vielmehr geht es um das Finden neuer Stimmigkeiten für ein Leben mit der Schädigung.
In Kap 2 beschreibt Christiane Gérard mögliche Veränderungen nach einem Schädel-Hirn-Trauma (SHT) und erarbeitet Einblicke in die Welt der Hirngeschädigten. In Unterkapiteln werden die systemische Sicht einer Hirnschädigung (Theorie), Nutzen und Konsequenzen, Unterstützung und Anwendung vertieft.
In Kap 3 widmet sich die Autorin der Suche nach einer neuen Stimmigkeit, die die Betroffenen entwickeln müssen, um in ein Leben nach der Schädigung einzutreten.
Kap 4 befasst sich mit der neuropsychologischen und herkömmlichen Diagnose sowie der „soziale Diagnose“ – also einer Diagnose, die die sozialen Wirkfaktoren beim Umgang mit auffälligen Verhaltensweisen (die aus systemischer Sicht immer eine Zuschreibung aus einer Außensicht sind, die die Innensicht der Betroffenen außer Acht lassen) einbezieht. Systemisch betrachtet handeln Betroffene individuell sinnvoll, sodass vermeintliche Verhaltensausfälligkeiten sinnvolle Verhaltensalternativen im Sinne von Lösungsstrategien der Person darstellen.
Kap 5 befasst sich ausführlich mit der Begleitung von Angehörigen, die durch das Ereignis ebenfalls stark herausgefordert sind. Unterkapitel vertiefen die Begegnung der Welten mit dem Ziel, Brücken zu schlagen. Angehörigen muss die Diagnose vermittelt werden, die schmerzhaft ist. Angehörige und Professionelle können an Grenzen kommen und benötigen Unterstützung beim Umgang damit.
Kap 6 beschreibt aus systemischer Perspektive fünf Fallgeschichten unter besonderer Berücksichtigung der Themen Leistung, Frontalhirnschädigung und Umgang mit destruktiven Familienmustern. Diese konkretisieren vorherige Ausführungen systemischer Denkweisen.
Diskussion Der Titel „Kein Anschluss unter dieser Nummer!“ drückt pointiert aus, was in der Arbeit mit Hirngeschädigten Alltag ist: beide Seiten (Professionelle und Betroffene) haben das Gefühl nicht zusammen zu kommen, sich nicht zu erreichen und zu verstehen. Die Kommunikation ist geprägt von Missverständnissen. Ausgehend von der systemischen Sichtweise kam Frau Gerard in ihrer klinischen Arbeit zunehmend zu der Erkenntnis, dass ein neuer Weg von Nöten ist. Es reicht nicht aus, Diagnosen und daraus abgeleitete Prognosen zu stellen, die sich einseitig mit schädigungsspezifischen Defiziten Betroffener befassen, zumal diese aus einer Außensicht getroffen werden. Kommunikation braucht den Dialog beider Seiten. Die Autorin zeigt anhand von Fallbeispielen Wege auf, Missverständnisse zu erkennen und zu vermeiden. Hilfreich ist eine Offenheit für individuell stimmige Wege der Krankheitsverarbeitung. Aus der einseitigen Einschätzung eines gesunden Menschen erscheinen Patienten mit schwerem Neclet-Syndrom als „chaotisch inkohärent und unrealistisch“…für die Patienten selbst ist das nicht der Fall, sie haben ein anderes Bezugssystem“ (S. 2).
Fazit Das Buch gibt Ansatzpunkte für die Begleitung Betroffener und deren Angehörigen. Die Arbeit mit Schädel-Hirnverletzten Patienten stellt eine große Herausforderung dar. Es ist zu wenig bekannt, dass sich die Wahrnehmung der Welt, die Art des Denkens und der Informationsverarbeitung nach dem Ereignis verändern können. Durch die systemische Perspektive gelang es der Autorin, das Verhalten jedes Menschen als subjektiv sinnvoll zu respektieren, auch wenn dieser Sinn nicht auf Anhieb entschlüsselt werden kann. Der Blick durch die Schädel-Hirn-Trauma (SHT) Brille ermöglicht Einblicke in die Innenwelt Betroffener und eröffnet damit neue Perspektiven des Verstehens. Frau Gerald bemängelt, dass es im klinischen Alltag an passenden Konzepten für diesen Personenkreis fehle. Dieser Mangel setzt sich in die Zeit nach der medizinischen Rehabilitation außerhalb der Klinik fort. Es fehlen Ansätze, die auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und am Arbeitsleben Betroffener zugeschnitten sind. In meiner Arbeit mit Hirngeschädigten adaptiere ich Methoden der Strukturierung und Visualisierung aus dem TEACCH-Ansatz. Dieser wurde in den 70er Jahren in den USA für Menschen mit Kommunikationsstörungen entwickelt. Er wurde vornehmlich in der Arbeit mit Menschen aus dem autistischen Spektrum bekannt. Ziel ist, die Umwelt individuell anzupassen, um weitest mögliche Selbstständigkeit und Unabhängigkeit zu erreichen. Anders als bei herkömmlichen Methoden in der Arbeit mit Hirngeschädigten, die davon ausgehen, dass ein intensives Training zur Verbesserung der Symptomatik führt, geht es bei TEACCH um das Erlernen von Schlüsselqualifikationen z.B. im Zeitmanagement, in der Handlungsplanung und durch Routinen, um Brücken zur Bewältigung des Alltags zu bauen und geeignete Übersetzungshilfen zu entwickeln.
6 von 6 Aus: not Ausgabe 1/2014, S.51 Rezensentin: Diesen Praxisleitfaden schrieb Christiane Gerard aus einer 25-jährigen Erfahrung als Neuropsychologin heraus. Oft hatte sie in ihrer Tätigkeit in einer Klinik für Kinder und Jugendliche mit erworbenen Hirnschädigungen eine Anleitung oder ein Konzept zum Umgang mit ihren Patienten und deren Familien vermisst. So entwickelte sie eine systemische Metatheorie neuropsychologischen Handelns, mit der sie Psychologen, Neuropsychologen, Medizinern, Pflegern, Logopäden, Physio- und Ergotherapeuten aus der Neurologie, Rehabilitationsmedizin und Geriatrie hilft, Hirngeschädigte kommunikativ zu erreichen und deren veränderte Wirklichkeit zu verstehen. Mit lebendigen Beispielen wird die Anwendbarkeit der Theorie verdeutlicht. Der zentrale Gedanke dahinter: Eine Vielzahl therapeutischer Missverständnisse und Misserfolge entstehen nur deshalb, weil psychologische Konzepte 1:1 auf Hirngeschädigte übertragen werden, ohne zu berücksichtigen, dass genau das Instrument, mit dem gesunde Menschen die Welt erfassen und verarbeiten, bei diesen Patienten beschädigt ist. Das Buch eignet sich auch für Laien.
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